1. Vorwort
Athletes Mind Talk (AMT): Henry Ford hat einmal gesagt: „Ob du denkst, dass du etwas kannst oder ob du denkst, dass du es nicht kannst. Du hast auf jeden Fall Recht. Ich denke, du kannst mehr als du denkst.“ Bei der Athletes Mind Talk Blog Serie interviewe ich Sportler, Coaches und andere herausragende Persönlichkeiten, die über ihre Grenzen gegangen sind und mehr erreicht oder anderen Menschen dabei geholfen haben.
Für diese Ausgabe habe ich mit Ursula Haller gesprochen. Sie ist Direktorin der Silva-Methode für Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz. Sie hat neben ihrer Silva-Mind-Arbeit jahrzehntelange Erfahrung in der tiefenpsychologischen Therapie und zahlreichen anderen psychologischen Methoden. Viele erfolgreiche Spitzensportler haben in dieser Zeit auf ihr Mentalcoaching vertraut.
In Teil 2 spreche ich mit Ursula Haller über:
- José Silva und die Silva Methode,
- Intuition: Auf die innere Stimme hören,
- Die Bedeutung der Gefühlsebene,
- Mentaltraining ist mehr als Visualisierung und Visualisierung ist mehr als Sehen mit den Augen
Um das Interview so authentisch wie möglich wiederzugeben, habe ich bei dem hier vorliegenden Transkript des Original-Telefoninterviews weitestgehend auf das Redigieren verzichtet. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Verständnis für eine entsprechend lockere Umgangssprache sowie sprachliche Unreinheiten.
Christian Jaerschke
2. Silva Mind
AMT: Ursula du hast gerade das Stichwort „Silva-Mind“ gebracht. Nicht jeder weiß unmittelbar, was das bedeutet. Kannst du vielleicht auch da mal ein paar Sätze dazu erzählen, was Silva-Mind bedeutet. Vielleicht auch wer José Silva war?
2.1 José Silva und die Silva Methode
URSULA HALLER: Was ist die Silva-Methode? Es fordert Selbsterkenntnis. Es ist eine tägliche Auseinandersetzung und du erfährst deine Bedenken, deine Sorgen und bekommst ein Werkzeug, dich in die andere positive Richtung zu lenken. Es ist wie eine selbsterzieherische Methode. José Silva, der die Methode entwickelt hat, nannte es auch „Bewusstseinserweiterung im Sinne eines Gedächtnistrainings“.
Die vielen Techniken, die es gibt, hat er auch aus sich erfahren auf eine sehr ähnliche Art und Weise. Er kam 1914 zur Welt und würde jetzt dieses Jahr 100 Jahre alt werden. Er ist am 7. Februar ´99 verstorben. Als er vier Jahre alt war, starb sein Vater. Er hatte zwei Geschwister, er war in der Mitte und die Großmutter und die Mutter mussten sie alleine ernähren und das in Laredo in Texas.
Vielleicht ein kleines Beispiel: Es gibt diesen Ausspruch: die Kinder bauen Luftschlösser. Es ist natürlich so, dass sie nicht so große Sorgen haben, sondern Groll vielleicht. Groll ist ein heißes Thema. Wer hat keinen Groll auf irgendetwas, auf irgendjemand?
Als Vierjähriger arbeitest du den Groll auf, indem du in dir, so wie Silva es auch sagt, bewusst machst: Heute hat mir Mami kein Eis gekauft, aber eines steht fest, wenn ich einmal groß bin, dann erfülle ich mir diesen Wunsch alle Tage.
Das heißt, das Kind verwirft den Groll, eliminiert ihn, damit will es nichts mehr zu tun haben und denkt in die weite Zukunft. Das wird sich alles lösen, das bekomme ich hin, das geht gut, ich kauf mir ein riesen Eis.
José Silva sagte dazu: Nur, ich konnte als Vierjähriger nicht in die weite Zukunft denken, da wären wir wahrscheinlich nicht mehr am Leben gewesen, sondern musste mich täglich mit der Jetztzeit auseinandersetzen. Er begann, geistig an sich zu arbeiten, indem er am Abend vor dem Einschlafen alle Probleme reflektierte, das Negative mental eliminierte und sich wünschte: Ich möchte morgen den Weg finden, um viel Geld zu verdienen.
Und das hat funktioniert. Er hat mit 4 1/2 Jahren begonnen, auf die Straße zu gehen, um Geld zu verdienen, z.B. in dem er Werbezettel verteilte.
2.2 Intuition: Auf die innere Stimme hören
So erkannte er, Geist herrscht über Materie und dachte, da muss es Frequenzen geben. Es muss in unserem Denken eine Frequenz geben, die nach außen geht, die jemanden antrifft, dem ich z.B. morgen begegne, der mir wieder einen Schritt weiterhilft. Mit 15 Jahren machte er die Ausbildung zum Radiomechaniker. Er meinte immer: „Ich dachte, dort finde ich über die Radiofrequenz die Idee, wie es gehen kann, das meine Gedanken sich in der realen Welt entfalten. Das ich zum Beispiel an einer Kreuzung plötzlich weiß, dass ich nach rechts oder links gehen muss – mir also etwas den Weg weist. Das heißt, genau zu spüren, was richtig ist.
AMT: Man könnte auch sagen, auf die innere Stimme zu hören oder der Intuition zu folgen. In diesem Moment sind wir im sog. Alpha-Zustand.
URSULA HALLER: Ja, und durch mentales Training ist es möglich, diesen Zustand praktisch per Knopfdruck zu erreichen. Der Alpha-Zustand ist nichts anderes, als ein wunderbares, angenehmes Gefühl in dir, geistig ruhend.
AMT: Es gibt wissenschaftliche Studien, die besagen, dass vielleicht nur drei Prozent der Gedanken, die wir denken, wirklich bewusste Gedanken sind. Es gibt unterschiedliche Studien. Manche sagen auch 5 Prozent, aber die große Frage ist: Was passiert in den 97 Prozent, also in dem Unterbewusstsein und wie gelingt es uns sozusagen den Zugang zu dieser gigantischen Ressource zu kriegen? Nicht das Bewusste ist so klein, in meinen Augen ist es eher so, dass das Unbewusste einfach so gigantisch groß ist. Wie gelingt es genau den Zugang zu kriegen?
URSULA HALLER: Was sagen heute die Hirnforscher? 10.000 Entscheidungen treffen wir täglich mehr oder weniger unbewusst. 10.000, die machst du einfach. Du überlegst nicht lange. Du tust und immer wieder ist eigentlich das lange Grübeln, womit wir uns im Wege stehen. Darauf möchte ich später auch noch mal zurückkommen.
AMT: Ja.
URSULA HALLER: Und wenn du jetzt das einfache Wort nimmst, das lange Grübeln, das ist doch auch das, was den Spitzensportler hindert. Das ständige Überlegen, das ständige Denken. Wer ist besser? Was mache ich falsch? Was könnte es sein? Ist es technisch oder was ist es?
Alles ist wichtig. Körper, Geist und Seele müssen eine Einheit sein. Natürlich ist das physische Training unabdingbar. Das ist eine ganz logische Geschichte, denn sonst fehlt auch die Basis für das mentale Training.
2.3 Die Bedeutung der Gefühlsebene
José Silva hat seine eigenen Ideen entwickelt und kam dahinter, wenn wir in diesen Alpha (Bewusstseins-) Zustand sind, ist unser Gehirn auch aufnahmefähiger. Es merkt sich alles besser. Es bringt sich die rechte Gehirnhälfte locker in die linke Hälfte ein.
Wenn ein Sportler heute viele mentale Baustellen hat, im negativen Sinne, wird er die Leistung nicht bringen können. Das ist nicht machbar. Wenn er aber viele positive hat, wird seine Leistung wie von selbst gesteigert.
Bei Leistung sind die Sportler immer auf dem Level: Ich muss noch mehr trainieren. Ich muss körperlich noch mehr tun. Es kann sein, dass dort auch noch etwas fehlt, aber zuerst muss der Geist geklärt sein. Der Athlet sollte sich Fragen: Womit habe ich ein Thema und wo stehe ich mir im Wege.
Im Silva-Kurs ist ein wesentlicher Bestandteil, das Bewusstsein zu schärfen und zu verändern. Hierzu werden viele Techniken gelehrt, den Körper und den Geist zu bewegen, um die Genesung zu erreichen, wenn wir erkranken oder wenn er nicht in der Ordnung ist. Auch eines muss uns klar sein – es gibt den lustigen Ausspruch „die Grippe ist im Anflug“. Wir spüren doch oft, da kommt etwas. Wie oft konnten wir das schon abwenden?
In dem Moment, wo wir aufräumen und die Energie wieder fließt, ist der Körper in der Lage, das zu bewältigen. Das nennt man heute Body-Mind-Medizin in den Staaten. Das ist ein Anteil unseres Grundstockes der Silva-Methode. Besonders wichtig ist es auch, die eigenen negativen selbsterfüllenden Prophezeiungen aufzuspüren und zu löschen oder zu verändern.
AMT: Absolut.
URSULA HALLER: Absolut. Das ist der Inhalt unseres Seminars. Ich glaube, du hast ja schon viele, viele Kurse besucht. Mentales Training ist nicht gleich mentales Training.
2.4 Mentaltraining ist mehr als Visualisierung und Visualisierung ist mehr als Sehen mit den Augen
AMT: Das Erschreckende ist, selbst viele Mentaltrainer (auch Psychologen) fokussieren sich sehr stark auf das rein visuelle Training, also die Visualisierung von Bewegungsabläufen. Aber das ist eben nur ein kleiner Ausschnitt aus den vielfältigen Möglichkeiten des Mentaltrainings.
URSULA HALLER: Du sagst es. Meines Erachtens haben die es selbst nicht verstanden, was Visualisieren heißt. Die Problematik liegt bei uns in der Sprache. Was heißt das jetzt? Visualisieren stammt von dem Wort „verde videre“ und das heißt „sehen“. Was wir aber damit meinen in der Psychologie ist Empfinden mit den inneren Sinnen.
Die Problematik liegt dort, dass sie alle glauben, etwas sehen zu müssen. Sie müssen sich immer Bilder gestalten. Selbst ein bekannter Gehirnforscher, der sich damit beschäftigt, hat am Anfang gesagt: „Gestalten Sie sich etwas, malen Sie sich etwas, zeichnen Sie sich etwas und fühlen Sie das.“ Da ist schon das Problem. Hast du schon mal jemanden zeichnen gesehen ohne Gefühl?
AMT: Schwierig.
URSULA HALLER: Das Gefühl ist immer vorab. Der kann gar nicht zeichnen, wenn er vorher nicht fühlt. Das geht gar nicht. Wir müssen lernen, dass das Gefühl zuerst da ist, die Empfindung ist das Wichtigste. Deshalb wird es niemals funktionieren, wenn sich der Sportler immer nur im Kopf vorstellt, Sieger zu sein (sich ein Bild malt auf dem Podest zu stehen) und im Bauch das Gefühl hat, das wird der Maier und nicht ich.
AMT: Nach dem Motto: Das schaffe ich sowieso nicht.
URSULA HALLER: Dann wird er es auch nicht schaffen. Jetzt drehen wir die Geschichte um. Ist er ein visueller Typ und ist er in der Lage, mit Erschaffen von Bildern sein Gefühl so anzuregen, dass sich das verändert, ist das okay.
AMT: Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb Affirmationen wirken können, bei vielen Menschen aber nicht wirken. Denn wenn ich mir den Satz einfach nur so vorspreche, aber nicht daran glaube oder mein Gefühl etwas anderes sagt, dann funktioniert es eben auch nicht.
URSULA HALLER: Genau, das funktioniert nicht. Ich sage immer wieder, wenn das alles so funktionieren würde, dass ich mir nur etwas vorstellen muss und dann passiert das, dann würden es alle so machen. Denk an Suggestion, dass heute wieder ein heißes Thema ist. Was wissen wir über Suggestion?
Wir haben ständig eine Suggestion, z.B. beim Fernsehen. Der eine Film bringt uns zum lachen und der andere zum weinen. Wenn wir noch so real dastehen und uns sagen, komm, das sind ja nur Schauspieler und der ist jetzt nicht wirklich gestorben.
Die Frage ist: Wie weit hast du dich in diese Thematik eingelassen? Das ist deine Entscheidung. Wenn er für dich jetzt vom Gefühl her gestorben ist, hat das Rationale keine Chancen mehr. Das muss uns allen klar werden. Das Gefühl ist das Wichtigste.
AMT: In Teil 3 (nächster Blog) spreche ich mit Ursula Haller über:
- Mental Training und die (un-)gelebte Praxis im Sport
- Typische Fragestellungen beim Mental Coaching
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