1. Vorwort

Athletes Mind Talk (AMT): Henry Ford hat einmal gesagt: „Ob du denkst, dass du etwas kannst oder ob du denkst, dass du es nicht kannst. Du hast auf jeden Fall Recht. Ich denke, du kannst mehr als du denkst.“ Bei der Athletes Mind Talk Blog Serie interviewe ich Sportler, Coaches und andere herausragende Persönlichkeiten, die über ihre Grenzen gegangen sind und mehr erreicht oder anderen Menschen dabei geholfen haben.

Ursula HallerFür diese Ausgabe habe ich mit Ursula Haller gesprochen. Sie ist Direktorin der Silva-Methode für Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz. Sie hat neben ihrer Silva-Mind-Arbeit jahrzehntelange Erfahrung in der tiefenpsychologischen Therapie und zahlreichen anderen psychologischen Methoden. Viele erfolgreiche Spitzensportler haben in dieser Zeit auf ihr Mentalcoaching vertraut.

InTeil 2 standen die Silva Methode, Intuition und die Bedeutung der Gefühlsebene im Mittelpunkt unseres Gesprächs. Außerdem ging Ursula darauf ein, dass Mentaltraining  mehr ist als Visualisierung und Visualisierung mehr ist als Sehen mit den Augen.

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In Teil 3 spreche ich mit Ursula Haller über:

  • Mental Training und die (un-)gelebte Praxis im Sport
  • Typische Fragestellungen beim Mental Coaching

Um das Interview so authentisch wie möglich wiederzugeben, habe ich bei dem hier vorliegenden Transkript des Original-Telefoninterviews weitestgehend auf das Redigieren verzichtet. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Verständnis für eine entsprechend lockere Umgangssprache sowie sprachliche Unreinheiten.

Christian Jaerschke

2. Mental Training und die (un-)gelebte Praxis im Sport

AMT: Ich mache gerade eine Umfrage unter Triathleten, wo es darum geht, zu bewerten wie wichtig sehen Sie mentale Stärke und da kommt oft als Antwort: Wir sehen das als sehr, sehr wichtigen Einflussfaktor, gerade auf die Leistung im Wettkampf aber auch im Training. In der Praxis ist es trotzdem so, dass es nur sehr wenige Sportler gibt (insb. Im Breitensport aber auch im Leistungssport), die wirklich etwas zur Steigerung der mentalen Stärke tun und dem Mentaltraining auch sehr skeptisch gegenüberstehen. Die Frage ist: Was können wir diesen Menschen sagen?

URSULA HALLER: Weißt du warum? Das mentale Training, was die meist lernen, da schweife ich jetzt aus. Die Spitzensportler, die zu mir kommen, haben einen Trainer, einen Betreuer. Daher weiß ich, wie man dort mentales Training macht.

Dieses mentale Training, das häufig gelehrt wird, ist viel zu aufwendig. Es dauert viel zu lange. Das ist wie im Business. Was sagt denn der Manager? Entschuldigung, ich habe nicht Zeit, dass ich mich eine halbe Stunde hinlege. Ich habe nicht die Zeit, dass ich 20 Minuten mentale Übungen mache.

AMT: Dabei ist mentales Training auch völlig ohne extra Zeitbudget möglich. Viele Techniken lassen sich parallel zu anderen Aktivitäten in den Tag einbauen. Anthony Robbins nennt das NET Time (No Extra Time).

URSULA HALLER: Ja. Und dabei ist es wichtig, dass die Sportler erkennen: Was ist für mich nicht in der Ordnung, wo sind meine Bedenken, wo ist meine Nervosität, wo sind meine Grenzen, die ich selbst gestrickt habe? Das alles muss ich als Sportler eliminieren.

Gleichzeitig ist es wichtig, ein bestimmtes Thema nicht ewig weiterzubearbeiten, sondern dieses Gefühl zu löschen. So möchte ich mich nicht mehr fühlen. Dann sage ich ihnen: „Denk an etwas Wunderschönes in deinem Leben. Es ist egal, was du nimmst: An den Urlaub, an die Hochzeit, an Geburtstage – hol dir jetzt dieses Gefühl her. Lass es ganz intensiv entstehen, entwickeln und jetzt bringst du dieses Gefühl ein in deine sportliche Tätigkeit. Und sage dir: So möchte ich mich fühlen beim nächsten Wettkampf. Darf ich es Mal so locker sagen?

AMT: Absolut.

URSULA HALLER: Ich bringe dir ein Beispiel. Das ist öffentlich, dadurch darf ich es sagen. Denk an Schlierensauer. Im Interview wurde er gefragt: Wie gehen Sie jetzt im Training und im Wettkampf mit dem Sturz um? Da sagt er locker: Wie früher, nur seitdem ich mit Spaß und Freude springe, egal was dabei rauskommt, siege ich immer. Merkst du? Er hat nicht vor Augen, ich bin heute Sieger.

AMT: Oder ich muss der Sieger sein.

URSULA HALLER: Ich sehe das Ergebnis. Zurück zu deiner Frage: Was sage ich denen? Wo ist der Unterschied? Der Unterschied liegt wirklich nur an dem. Wünsch dir dein bestes Ergebnis.

Wenn die Trainer dich heute ständig drängeln, kennst du das, wenn dich jemand drängt?

AMT: Ja klar.

URSULA HALLER: Das ist unangenehm. Wie soll es dir gut gehen dabei? Wie soll das funktionieren?

AMT: So nach dem Motto, dir fehlen noch zehn Punkte für die Olympiaqualifikation oder den Sprung in den A-Kader.

URSULA HALLER: Ganz richtig. Ein anderes Beispiel: Ein Wettkämpfer ist an 20. Stelle. Meist sagen die dann: Was kannst du dir real vorstellen, was du das nächste Mal erreichst? Dann machen sie mit ihnen mentales Training und sie müssen sich das, was ihnen mental in den Sinn kommt, vorstellen.

Auf dieser Basis müssen sie sich ihr Gefühl, ihre Empfindung gestalten. Sagen wir jetzt war er Zwanzigster. Fünfzehnter wäre jetzt schon Top für ihn. Und ich stelle immer die gleiche Frage: Warum nicht Erster? Wo ist das Hindernis? Warum nicht? Was haben sie da für Bedenken?

Und ich gebe auch oft den Auftrag: Frag das mal? Und da habe ich auch ein super Beispiel, das jeder kennt. Das war beim Formel 1 Rennen. Denk mal daran, der junge Mann Hamilton, als er 18 war, wurde er Weltmeister. Warum wurde er Weltmeister? Darf ich wieder den Satz sagen: Weil er unbedarft ins Rennen ging.

AMT: Sehr gut, ja.

URSULA HALLER: Verstehst du den Satz? Unbedarft.

AMT: Genau.

URSULA HALLER: Was machen die anderen? Die sagen, du musst dir das so und so vorstellen. Und genau das ist der falsche Ansatz. Bei dem Beispiel geht es um den  Spaßfaktor. Bei vielen Sportlern sehe ich dann aber genau das Gegenteil und sage zu mir: Bitte nein. Nein, der ist ja verbissen und will jetzt unbedingt etwas erreichen.

AMT: Ja, das ist der falsche Ansatz.

URSULA HALLER: Ein anderes Beispiel: Schau mal, jetzt hat ein Sportler es momentan nicht drauf und kann nicht siegen. Der Trainer merkt das, der Betreuer merkt das auch.

AMT: Ja.

URSULA HALLER: Was ist immer die gleiche Antwort? Nehmen Sie sich eine Auszeit. Was ist die Auszeit? Was macht jetzt die Auszeit? Frage dich das einmal. Eigentlich nichts anderes, als was ich in der Geschwindigkeit durch mentales Training und Silva Mind Control mache. In der Auszeit passiert es, dass sich der Sportler alle Tage (das kann man gar nicht verhindern), sagt, ich möchte doch wieder siegen, aber wie. Ja?

AMT: Genau.

URSULA HALLER: Durch diesen inneren Dialog beginnt sein Unterbewusstsein für ihn zu arbeiten. Das weißt du auch von der Gehirnforschung, es arbeitet wie von selbst und sucht nach Lösungen, wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Bei der mentalen Programmierung ist die richtige Reihenfolge wichtig, was heißt: Alle Bedenken sind zuerst zu eliminieren. Danach wird ein neues Empfinden zum Geschehen entwickelt. Wenn du nur einen Deckel drauflegst oder Zucker darüber streust, hast du es nicht erledigt, es werden die Bedenken wieder kommen.

Nehmen wir einen Sturz. Ein Paradebeispiel ist der Sturz vom Skispringer Morgenstern. Wie schnell war er wieder auf der Piste? Wie schnell war er wieder oben? Das muss du mal zusammenbringen, dass du dich nach so einem Sturz da oben wieder hinhockst und wieder runter springst. Ja?

AMT: Ja.

URSULA HALLER: Das sind Schwierigkeiten. Er konnte es nur, indem er mental gearbeitet hat. Darum sage ich dir, ich weiß es, die österreichischen Skispringer sind von allen am besten drauf auf dem Gebiet. Die haben am besten verstanden, wie wichtig das Eliminieren ist.

Macht euch einmal bitte eines bewusst: Unser Gehirn ist ein Hochleistungscomputer. Da oben haben wir zwei Teile und das Empfinden haben wir im Bauch. Die drei Anteile arbeiten zusammen und wir müssen uns immer einloggen ins Bauch-Gehirn um von da heraus zu erfahren, zu lernen.

AMT: Es ist auch so, das wesentlich mehr Signale vom Herzen an das Gehirn gesendet werden als umgekehrt.

URSULA HALLER: Ganz richtig. Wenn ich jetzt schon sage, das Gehirn und das Bauchgehirn sind ein Hochleistungscomputer, dann bitte mach dir mal eines bewusst, ich denke immer mit dem banalen Beispiel: Wenn du in deinen Computer ein falsches Wort schreibst, hilft es dir gar nichts, wenn du das Richtige zehn Mal dahinter schreibst. Das ist aber genau das, was viele in ihrem mentalen Training machen.

AMT: Sehr schönes Beispiel, ja.

URSULA HALLER: Ja. Du musst das eine Wort löschen, dann brauchst du das Neue nur ein Mal eingeben. Genau so ist es in dir. Denk an Karate, denk an alle asiatischen Sportarten. Die haben das schon immer gemacht.

Warum können die das? Warum haben wir so Mühe, das zu lernen? Weil das nicht Sportarten sind, wo das Körperliche vordergründig ist, sondern das Geistige.

Körper ist immer wichtig. Ich betone das immer wieder. Es muss sich keiner vorstellen, er braucht gar nicht trainieren. Aber das, was wir in der letzten Zeit wirklich erkennen durften ist, das es in der Weltspitze beim Siegen viel mehr um die mentale Stärke geht als um die körperliche Fitness.

AMT: Gerade im Spitzensport ist das so. Die, die in der Spitze sind, sind physisch alle fit, aber gewinnen tut am Ende wer mental der Stärkere ist.

URSULA HALLER: Ganz richtig. Du sagst es. Das reale Training ist nicht das Wesentliche.

Kommen wir zu einem weiteren Thema: Warum lehrt man nicht allen Sportlern, wenn sie Verletzungen haben, sich mental zu bewegen? Da sind wir jetzt eventuell, wenn man schon meint, bei einem Bild, aber das mit viel Gefühl. Denn, was regt meine Muskeln wirklich an? Das Empfinden, ich mache das jetzt, nicht das Bild bitte.

Ich kann es mir bildhaft vorstellen, aber das Wesentliche ist, das Empfinden in mir. Ich rege jetzt den Muskel an, ich lass ihn wieder los, ich rege ihn an. Nur so funktioniert es.

Beispiel Skifahrer nach einem Unfall: Du stellst dir schon im Krankenbett nach der OP vor, du fährst die Strecke runter. Aber da geht es eben nicht nur um das Bild, sondern um das Empfinden, wie sich der Körper anstrengt, wie sich der Muskel anspannt. Nicht, ich bin da runtergefahren, super war es. Das ist alles zu wenig und das ist der Unterschied.

Das ist genau das, wo Silva immer viel Wert darauf gelegt hat. Es geht um dein Empfinden, um dein Gefühl. Er lehrte uns immer, achtet darauf, dass der Mensch sein Gefühl neu entwickelt, wenn er etwas verändern will.

AMT: Diese Strategie ist in den 70er Jahren sehr erfolgreich von der NASA eingesetzt worden. Als man festgestellt hat, dass Raumfahrer das Problem haben, das die Muskeln zurückgehen, dass die Knochen degenerieren, etc.

URSULA HALLER: Genau, und da war Silva beteiligt.

Mental bedeutet geistige Ebene und da muss ich lernen, das zu tun, zu erfahren was mich weiterbringt. Denn, schau mal, der Spitzensportler lebt von Erfahrungen und Erlebnissen.

AMT: Von denen er lernt.

URSULA HALLER: Genau. Wie du es vorhin schon erwähnt hast, ein guter Spitzensportler fragt sich nicht: Was ist denn da jetzt in meinem Hirn passiert, dass das funktioniert hat? Entschuldigung. Du siehst, es ist egal. Es hat funktioniert.

AMT: Genau.

3. Typische Fragestellungen beim Mental Coaching

AMT: Wenn du mit Sportlern arbeitest, was sind aus deiner Sicht denn so die wesentlichen Themen, die immer wieder aufkommen?

URSULA HALLER: Wie du sagst, die Ängste, die Nervosität, die Angst vor einem Unfall, die Angst vor einem Sturz. Nicht zu vergessen, ganz wesentlich sind auch die unsympathischen Gegner.

Viele Spitzensportler sind im privaten Bereich die besten Freunde. Was erkennen wir daraus? Ich sage den Sportlern immer: Sieh deinen Gegner nicht als Feind. Denn du musst dir nur kurz mal überlegen was es bedeutet, wenn du ein Gefühl Feind in dir. Bitte erzähle mir nicht, da geht es dir gut dabei.

AMT: Da stimme ich dir zu. Ich verstehe das absolut. Das halte ich für extrem wichtig, ja.

URSULA HALLER: Ganz genau. Es ist so wichtig, das sie heute erkennen, welche Einwände sie haben. Was sagen sie denn noch? Es fehlt mir oft an Trainingserfahrung. Da sage ich, bitte dann erklär mir, was das heißt? Du hast trainiert, genauso wie der andere. Was hast du in deinem Training erfahren? Dann kommt als Antwort: Das ist schon ein alter Sportler. Der hat schon viel Erfahrung. Und dann sage ich: Bitte, ich will jetzt von dir wissen, wo fehlt es dir an Erfahrung?

Merkst du, dann kann ich auf das Thema im realen Training eingehen.

AMT: Ja.

URSULA HALLER: Noch einmal, Gefühle sind das Wesentliche. Der Istzustand der Psyche. Wo ist die Einschränkung? Wo ist die Blockade? Genau die erklären sie mir dann.

Ein Beispiel: Vielleicht kennst du die Blicke noch als Kind? Wenn dich der Trainer dann schon so anschaut, weiß du genau, er ist nicht zufrieden. Ich arbeite gerade mit einer jungen Biathletin, die Top ist.

Sie hat dann gesagt: „Ich glaube, die Mama hat ihm gesagt, er soll mich mehr loben. Aber weißt du Ursula, wenn der mich lobt, das wirkt gar nicht, weil der schaut so, das ich weiß das ist nicht ernst, das ist nicht ehrlich.“ Das kennen wir doch alle aus dem täglichen Leben. In dem Moment hat das Lob keine Wirkung, aber gar keine.

AMT: So ist es.

URSULA HALLER: Ja? Was muss ich denn tun? Ich muss mich mit dem Blick des Trainers auseinandersetzen und der Sportler muss das mental aufheben.

AMT: Ein Lob muss authentisch sein.

URSULA HALLER: Ja, und vor allem muss der Sportler begreifen, er macht den Sport für sich und nicht für den Trainer und nicht für die Mutter und für gar niemanden sonst.

AMT: Auch ein wesentlicher Punkt, ja.

URSULA HALLER: Du hattest auch gefragt: Wen betreust du? Da könnte ich dir sagen: Ja, meinen kleinen Schatz, meine 10jährige Enkeltochter, die schon zweimal Staatsmeisterin war, im Trampolinspringen.

Letztes Jahr hatte die Kleine wieder Staatsmeisterschaft in Graz. Albert und ich fuhren mit ihr dort hin in einer Leichtigkeit. Wir hatten nicht ein Wort über den Wettkampf geredet.

Wir sind bewusst am Vortag mit ihr angereist. Am Nachmittag haben wir noch Shopping mit ihr gemacht und am nächsten Morgen fuhren wir in die Halle und die Kleine schaute mich an und sagte: „Oma, ich weiß eines: Nur weil du mit bist werde ich heute siegen.“

Worum geht es mi Kern dabei? Um das gute Gefühl. Womit ich mir das gute Gefühl aufbaue, ist völlig egal. Wenn man sie hinterher gefragt hat: Warst du sehr nervös? „Ich nicht, aber die Oma.“ Weißt du, was ich meine?

AMT: Ja.

AMT: In Teil 4 (nächster Blog)  spreche ich mit Ursula Haller über:

  • (Geheim-)Tipps und Tricks, die häufig versäumt werden
  • Mentaltraining im Aufwind?
  • Nervosität im Wettkampf und wie du sie per „Knopfdruck“ bewältigen kannst
  • Angst vor Unfällen und Verletzungen

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