Athletes Mind Talk (AMT): Henry Ford hat einmal gesagt: „Ob du denkst, dass du etwas kannst oder ob du denkst, dass du es nicht kannst. Du hast auf jeden Fall Recht. Ich denke, du kannst mehr als du denkst.“ Bei der Athletes Mind Talk Blog Serie interviewe ich Sportler, Coaches und andere herausragende Persönlichkeiten, die über ihre Grenzen gegangen sind und mehr erreicht oder anderen Menschen dabei geholfen haben.
Für diese Ausgabe habe ich mit Christian Müller gesprochen. Er ist der amtierende Ironman Weltmeister der Altersklasse M40-44 und Zweitschnellster Amateur aller Amateure auf Hawaii. Mit einer Zeit von 8:41h holte er 2013 auf Hawaii insgesamt den 20. Platz. Christian hat einen Vollzeitjob und arbeitet bei SAP als Softwareentwickler. Die Liste seiner Triathlon-Erfolge ist lang. Hier ein kleiner Auszug:
– 2009, 2012, 2013: 1. Platz AK Ironman World Champion
– 2013: 1. Platz AK Challenge Roth, Deutscher Meister Langdistanz in 8:28:55
– 2012: 7. Platz Ironman Nizza
– 2011: 5. Platz Ironman Wales
AMT: Was fasziniert dich am Triathlon und wie bist du dazu gekommen? Welche Triathleten haben dich inspiriert und warum?
CHRISTIAN MÜLLER: Triathlon ist eine ehrliche Sportart. Als Jugendlicher bin ich Radrennen gefahren und dort entscheidet über Sieg und Niederlage oft nicht die eigene Physis, sondern ein taktisches Element oder die Stärke der Mannschaft. Im Triathlon kommt es maßgeblich auf Dich und Deine Fähigkeiten an. Das Ergebnis spiegelt fast immer Deinen Einsatz im Training und der Vorbereitung wieder. Eine Sportart, in der gilt: „No excuses!“. So etwas kann mich begeistern. Natürlich haben viele andere Einzelsportarten auch diesen Charakter. Triathlon vereinigt aber drei elementare Sportarten und fordert dich, sich mit allen drei zu befassen und das Training für diese zu optimieren.
AMT: Welche Triathleten haben dich inspiriert und warum?
Allgemein faszinieren mich Athleten, die die Grenzen ihrer Sportart neu ausloten. Sportler, die weiter gehen als ihre Konkurrenten zuvor. Länger oder härter trainieren, neue Wege im Training gehen. Für mich ist Thomas Hellriegel so jemand, der alles für seinen Sieg auf Hawaii gegeben hat. Ohne Kompromisse.
AMT: Wie sieht eine beispielhafte Trainingswoche bei dir im Frühjahr aus, wenn du dich auf eine Langdistanz vorbereitest?
CHRISTIAN MÜLLER: Ich verfolge einen klassischen Ansatz, d.h. möglichst viel Umfang und niedrige Intensität im Frühjahr. Dabei ergibt sich die Grenze durch die beruflichen und familiären Verpflichtungen. Zum Rennen hin werden dann sukzessive Kraft- und intensive Elemente hinzugenommen.
AMT: Wie viele Stunden trainierst du?
CHRISTIAN MÜLLER: In der Regel komme ich auf 20-25 Stunden. Etwas mehr, wenn ein Feiertag in der Woche liegt. Meist bin ich auch im Februar für zwei Wochen auf den Kanaren, um dem kalten und trüben Wetter zu entkommen.
AMT: Wie organisierst du dein Training neben deinem Vollzeit-Job?
CHRISTIAN MÜLLER: Das ist relativ einfach. Ich bin Frühaufsteher. Vor der Arbeit ist deshalb Zeit für eine kürzere Einheit, meist Schwimmen. Abends ist dann das Laufen oder Radfahren dran. Als eine Variante gehe ich auch öfter in der Mittagspause mit Kollegen laufen. Dann fällt der Abend oder Morgentermin weg. Die langen Einheiten, insbesondere auf dem Rad werden am Wochenende abgeleistet.
AMT: Du hast erwähnt, dass du deine Trainingssteuerung weitestgehend oder komplett selbst machst. Kannst du evtl. 1-2 Bücher empfehlen?
CHRISTIAN MÜLLER: Das ist richtig. Beim Training erstelle ich mir meine Planung selbst und versuche auch, die Umsetzung objektiv zu überwachen. Was natürlich nicht immer gelingt. In den letzten Jahren habe ich mir deshalb vor jeder neuen Saison wieder die Frage gestellt, was die Zusammenarbeit mit einem Trainer für mich verbessern könnte. Welche Vor- und Nachteile dies mit sich bringen würde und welche Trainer im Triathlon bzw. einer der Einzeldisziplinen in Frage kommen würden.
Neben der Trainerfrage habe ich mich in all den Jahren aber auch selbst intensiv mit dem Thema Training befasst. Etliches findet sich dazu auf dem Buch- und Zeitschriftenmarkt sowie im Internet. Beim Radfahren und Laufen ist die Umsetzung von Theorie in Praxis relativ einfach, da diese beiden Sportarten im Vergleich zum Schwimmen koordinativ nicht so anspruchsvoll sind. Beim Schwimmen ist meiner Meinung nach nur durch geleitetes Training eine kontinuierliche Leistungsentwicklung möglich. Beim Thema Trainer muss deshalb jeder Athlet einen für sich funktionierenden Kompromiss finden.
Für mich waren folgende Bücher zum Thema Triathlon besonders hilfreich:
- Triathlontraining, Hermann Aschwer
Eines meiner ersten Bücher zum Thema Triathlon. Sehr hilfreich fand ich damals sein „Stufenkonzept“ vom Training für die Jedermanndistanz bis zum Ironman. - Das große Buch vom Triathlon, Georg Neumann, Arndt Pfützner und Kuno Hottenrott
Wohl das deutschsprachige Standardwerk. Deckt alles ab und listet auch auf, was es an Quantität und Qualität im Training braucht um vorne einen Wettbewerb zu beenden.
AMT: Welche Lessons learned/ Tipps hast du für andere Athleten, die neben einem Vollzeit-Job z.B. eine persönliche IM Bestzeit anstreben?
CHRISTIAN MÜLLER: Leider ist es so: Viel hilft viel! Dabei müssen es aber nicht immer die epischen Trainingseinheiten mit gigantischen Umfängen sein. Kleinvieh macht auch Mist. Wichtig ist in meinen Augen, dass Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat in der Vorbereitung die notwendigen Kilometer zusammen kommen. Dabei zählt jede Einheit. Der Lauf zur oder von der Familienfeier zählt genauso wie das Schwimmen während die Familie einkauft oder auch mit dem Rad ein kleiner Umweg auf dem Weg ins Geschäft oder von dort nach Hause. Alles keine Geheimnisse. Am Ende sind es die Kilometer, die Du in den Beinen oder Armen hast und die dich beim Ironman schneller ins Ziel bringen.
AMT: Was sind deine größten Herausforderungen oder Pain Points für dich beim Triathlon?
CHRISTIAN MÜLLER: Zur Wettkampfsaison, wenn sich das Gewicht dem Optimum nähert, ist es das Schwimmen, besonders am Morgen. Da frierst du oft, selbst wenn eine schnelle Serie geschwommen wird. Ein anderes klassisches Beispiel ist für mich nach einer längeren Radtour noch die Laufschuhe anzuziehen und für einen Koppellauf loszulaufen. Groß ist die Versuchung, zu diesem Zeitpunkt „Feierabend“ zu machen. Da setze ich mir dann gerne ein alternativloses Ziel. Dass ich mit meiner Frau dort verabredet bin oder das Rad mit ihr vereinbart irgendwo abstelle und nach Hause laufe.
AMT: Wie verarbeitest du mental „Zwangs-Trainingspausen“ aufgrund von Verletzungen oder Krankheiten?
CHRISTIAN MÜLLER: Solche Ereignisse gehören zum Sport. Wichtig sind in meinen Augen zwei Aspekte. Erstens: Es gibt tolle Beispiele, wie sich bekannte Sportler nach für sie verheerenden Situation zurückgekämpft haben. Meist sind dann die eigenen Wehwehchen ein Klacks und man muss sich sagen, dann schafft man das selbst auch.
Zweitens braucht man Vertrauen. Wenn man vorher seine Hausaufgaben im Training gemacht hat, gibt es erst einmal keinen Grund zur Panik. Im Gegenteil, solche Auszeiten können dann sogar eine Chance sein, Dinge zu analysieren und zukünftig zu verbessern. Gerade wenn die Auszeit selbst durch falsches Verhalten ausgelöst wurde. Keiner kann 365 Tage bei voller Gesundheit durchtrainieren!
AMT: Wie bereitest du dich in den letzten Tagen auf einen wichtigen Wettkampf (wie die IM Weltmeisterschaft auf Hawaii) vor? Hast du eine bestimmte Routine oder Rituale?
CHRISTIAN MÜLLER: Ich glaube, ich gehöre zu den Verdrängern. Das Training für einem IM, auch dem auf Hawaii, ist meist zwei Wochen vor dem Rennen gelaufen. Danach folgt eigentlich immer ein Standardprogramm, das sogenannte Tapering, bei dem man, wenn man sich eisern daran hält, nicht viel falsch machen kann. Bis zum Tapering dreht sich alles um das Training. Da bin ich so beschäftigt, dass ich gar keine Zeit habe, über das Rennen nachzudenken. Mit dem reduzierten Training in den Tagen vor dem Wettkampf ist aber genügend Zeit zum Grübeln da. Ich versuche, mich dann möglichst mit Dingen zu beschäftigen, die nichts mit Triathlon zu tun haben. Ich versuche auch bewusst, Dinge wie Vorberichte zum Rennen, Internetforen, Wettkampfmessen etc. zu meiden. Erst am Vortag zum Rennen lässt es sich dann nicht mehr ausblenden.
AMT: Viele Sportler haben vor dem Wettkampf mit großer Nervosität zu kämpfen? Kennst du das? Welche Strategien gegen die Wettkampfangst nutzt du oder kannst du empfehlen?
CHRISTIAN MÜLLER: Natürlich kenne ich dies. Besonders wenn man nur wenige Wettkämpfe macht und sich lange Vorbereitet hat, ist man nervös. Man muss das als Teil des Wettkampfes annehmen. Akzeptieren, dass es dazugehört. Auch ich schlafe in der Nacht vor einem solchen Rennen kaum, liege lange wach und schaue auf die Uhr. Mir hilft hier, nochmal innerlich zurückzublicken. Mir klarzumachen, dass ich mich gut vorbereitet, gut trainiert habe. Mit dieser Gewissheit kann dann wieder etwas Gelassenheit einkehren.
AMT: Wie wichtig ist für dich mentale Stärke beim Triathlon? Was hilft dir im Training und Wettkampf, mentale Stärke zu erlangen und/ oder aufrechtzuerhalten? Wie kommst du am besten aus einem Tief wieder heraus?
CHRISTIAN MÜLLER: Vor allem auf den langen Triathlon Distanzen ist die mentale Fähigkeit, ein Tempo einzuschlagen und dann aufrecht zu halten, unheimlich wichtig. Beim Schwimmen fast alles zu geben, beim Radfahren nie in ein Wohlfühltempo zu verfallen und beim abschließenden Marathon durchzulaufen anstatt zu gehen. Immer nach dem Motto: Wenn es nicht wehtut, bist du zu langsam.
Sich über Stunden so zu puschen, setzt eine unheimliche mentale Frische voraus. Diese Frische entscheidet in meinen Augen, ob ich in der Lage bin, ein für meine Verhältnisse super Rennen zu bestreiten oder im Mittelmaß meiner Fähigkeiten den Tag beende. So etwas kann ich nur ein, zweimal im Jahr abrufen. Dies bedeutet für mich aber auch, dass ich nur ein oder zwei Rennen so angehe. Bei den anderen Rennen fordere ich mich zwar auch körperlich, gebe allerdings nicht mental „Vollgas“. In diesen Fällen gehe ich ins Rennen mit der Einstellung „Ich gebe mein Bestes – und gut“. Keine weiteren Gedanken.
Für den Wettkampf ist es für mich unheimlich wichtig, dass man in der Vorbereitung Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufgebaut hat. Bei mir sind das Trainingseinheiten, die aus physiologischer Sicht keinen Trainingsnutzen mehr bringen bzw. vielleicht sogar negative Auswirkungen haben. Aber wenn ich in der Vorbereitung ein, zweimal acht Stunden Rad gefahren bin und danach noch eine Stunde gelaufen, gibt mir das die Sicherheit, dass ich auch im Wettkampf solange durchhalte.
AMT: Welche Gedanken gehen dir auf einem IM Wettkampf durch den Kopf? Was motiviert dich beim Radfahren und auf dem Marathon?
CHRISTIAN MÜLLER: Während eines IM hat man viel Zeit nachzudenken. Aber gerade hier lauert eine Falle. Wenn man den Fokus fürs Rennen verliert und gedanklich „abschweift“, verschleppt man das Tempo und wird zu langsam. Idealerweise sollte man sich überwiegend damit befassen, die Rennstrategie umzusetzen. Sprich darauf zu achten, dass man sein Tempo hält. Nicht zu langsam und auch nicht zu schnell wird. Das geht aber nur, in dem man sich Teilziele setzt und sich jeweils nur mit der Erfüllung dieser befasst. Teilweise kann man sich diese vor dem Rennen zurechtlegen. Beispiel: Den ersten Kilometer so hart wie möglich schwimmen. Manche ergeben sich dann aber auch situativ während des Wettkampfes, z.B. einen überholenden Läufer als Tempomacher für sich zu nutzen mit der Vorgabe mindestens den nächsten Kilometer an diesem dranzubleiben und wenn dieses Ziel erreicht ist, wieder einen Kilometer dranzubleiben und so fort…
AMT: Was war, mental betrachtet, der Schlüssel bei deinen größten sportlichen Erfolgen? Welche Beispiele kommen dir in den Sinn?
CHRISTIAN MÜLLER: Für mich ist immer wichtig, dass ich mich im Rennen mit mir und meiner Leistung befasse. Die Zeit und Platzierung sind im ersten Teil des Rennens nicht wichtig. Es gilt in jeder Disziplin das Beste zu geben. Bei guten Rennen erinnere ich mich aber, dass sich dies meist beim Marathon dem letzten Teil geändert hat. Da galt es dann als neues Zwischenziel einen Platz zu halten oder solange Vollgas zu geben, bis man eingeholt wird, was im günstigsten Fall dann nicht geschah!
AMT: Christian, vielen Dank für das Interview.
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